Berlin / Spätestens
seit dem Skandal um den Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein melden sich immer
mehr Frauen, die Opfer von sexuell motivierten Anzüglichkeiten wurden. Unter
der von der US-Schauspielerin Alyssa Milano gestarteten #MeToo Aktion können sich
weltweit Betroffene solidarisieren. Aber ist Sexismus ein reines Männerproblem?
Wir haben uns umgehört und Stimmen von Männer gesammelt, die selbst Opfer
wurden. Opfer von Frauen.
Ulf K. (54)
Ich bin seit 30 Jahren Fernfahrer. Einmal überholte mich auf
der A2 ganz langsam ein Auto mit jungen Leuten drin. 2 Mädels, vielleicht 18 –
19 Jahre alt, lehnten sich aus dem Fenster, hoben ihre Shirts und zeigten mir
ihre blanken Brüste. Dabei streckten sie auch noch die Zungen heraus und
brüllten wie wild herum. Seit dem Vorfall bin ich nicht mehr der selbe. Ich
meide Autobahnen, bin auch in Therapie.
Tom S. (73)
Der Vorfall ist schon 1994
geschehen. Ich war verheiratet, hatte 2 Kinder und war Leiter der Produktionsabteilung
in einem Hochtechnologie-Unternehmen. Meine Firma plante
gerade die Fusion mit einem Konkurrenten und da
ich Aktienoptionen besessen habe, hätte mich das
aufgrund der erwarteten Kurssteigerungen reich gemacht. Außerdem bin ich davon
ausgegangen, in Kürze zum Vizepräsidenten der Abteilung Entwicklung und Planung in der Firma
befördert zu werden.
Ich habe dann erfahren, dass der
Firmenchef G. die Stelle mit einer Frau M. besetzt hat, die erst seit kurzem im
Unternehmen war und G. bei einem Problem mit der Firmenfusion half. Ich hatte
zudem vor Jahren eine Affäre mit M.
M. hat mich dann eines Abends zu
einem Treffen in ihrem Büro eingeladen und dabei versucht, mich zum Sex zu
verführen, obwohl sie wusste das ich verheiratet war. Als ich sie abgewiesen
habe und gegangen bin, war die M. sehr verärgert. Am nächsten Tag wurde ich von
ihr der sexuellen Belästigung bezichtigt und mir deshalb eine finanziell
ungünstige Versetzung nahegelegt. Ich wollte mich gegen die Anschuldigungen
wehren und suchte die Anwältin A. auf. Mit ihrer Hilfe habe ich meiner Firma
mit einer Klage wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gedroht.
Da das Unternehmen, mit dem man
fusionieren wollte, sehr konservativ war, hätte das Bekanntwerden eines
Sexskandals in der Firma die Fusion zum Platzen bringen können. So war man in
meiner Firma gezwungen, auf mich zuzugehen und mit mir eine Einigung zu suchen,
damit der Fall nicht an die Öffentlichkeit geriet. Wir haben uns in der Folge auch
zu einem Schlichtungsgespräch getroffen.
In der Zwischenzeit habe ich
immer wieder anonyme E-Mails mit Kommentaren und Hinweisen erhalten, teilweise
unterzeichnet mit „A Friend“. Ich habe später herausgefunden, dass die Mails
vom Computer eines Chemie-Professors namens A. F. an der Universität von W.
verschickt wurden, der jedoch seit Wochen in N. unterwegs und dessen Büro
verschlossen war.
Ich habe mich dann daran erinnert,
zu Beginn des Treffens mit M. einen Telefonanruf getätigt und mein Mobiltelefon
danach nicht ausgeschaltet zu haben. So wurde alles, was an diesem Abend
vorgefallen ist, auf dem Band eines Anrufbeantworters festgehalten. Ich erhielt
einen Vertrag, der mir meine bisherige Funktion zugesichert hat, sowie eine
Entschädigung. Ich dachte nun, gewonnen zu haben, doch eine weitere anonyme
E-Mail warnte mich davor, dass der Schein trügt und es noch nicht vorbei sei.
Ich kämpfte in dieser Zeit mit
Produktionsproblemen bei der Herstellung eines neuen CD-ROM-Laufwerkes mit dem
Namen „A.“. Ich habe dann ein Gespräch zwischen M. dem Assistenten von G.
belauscht und erfahren, dass ich gleich am Tag darauf wegen Inkompetenz,
begründet durch die Produktionsprobleme mit dem Laufwerk, entlassen werden sollte.
Am nächsten Tag hat mich die M. vor
der Leitung der eigenen Firma und des Fusionspartners ins Kreuzverhör genommen.
Sie hat versucht mir die Verantwortung der technischen Produktionsprobleme in die
Schuhe zu schieben. Ich konnte jedoch Beweise präsentieren, dass die M. selbst
die Probleme durch unsachgemäße Einsparungen im Werk im Ausland verursacht hat.
M. wurde dann entlassen und G.
hat an ihrer Stelle meine Kollegin S. eingestellt, die gleich ankündigt hat,
mich zu ihrer rechten Hand machen zu wollen. S. hat ihren Sohn in die Firma
mitgebracht. Es hat sich dann herausgestellt, dass er Student an der
Universität von W. war, sowie Forschungsassistent von Prof. A. F. mit Zugriff
auf dessen Computer und somit im Auftrag seiner Mutter hinter den anonymen,
hilfreichen Nachrichten steckte.
Jonas J. (28)
Es war mein erster Tag auf Arbeit,
da fing es schon an. Ich kam frisch von der Uni, habe Verwaltungswissenschaften
studiert, und sollte nun eine Stelle als Sachbearbeiter im Grünflächenamt S.
antreten. In der Abteilung arbeiteten zu dieser Zeit nur Frauen. Weil ich mich
mit den Räumlichkeiten noch nicht auskannte, bin ich auf dem Weg zum Pausenraum
in dem benachbartem Vorratsraum gelandet und konnte von dort die Gespräche der
Frauen belauschen. Von „Linksträger“, „Schnuckelchen“, „den würde ich nicht von
der Bettkante stoßen“ usw. habe ich alles mit anhören müssen. Und dann das
laute, schrille Gelächter dazu. In der Folge haben die Frauen ständig Dinge
fallen gelassen, die sie dann vor mir ganz langsam aufgehoben haben und mir dabei
ihr Dekolleté vor die Nase gehalten oder unter den Rock schauen lassen. Es war
einfach nur widerlich, erst recht weil ich schwul bin. Als ich dann zur Weihnachtsfeier
meinen damaligen Freund mitgebracht und mich geoutet habe, wurde es noch
schlimmer. Plötzlich zeigten mir alle Frauen ihre Hintern, beugten sich über
Schreibtische, Regale, Aktenkisten. Ich habe dann rasch gekündigt. Heute arbeite ich nur mit Männern
zusammen und wurde seit dem nie wieder belästigt.
Sascha W. (31)
Ich bin Stripper. Schon in 3. Generation.
Was ich täglich auf Arbeit erlebe, da könnte ich ein Buch drüber schreiben.
Meistens werde ich für private Veranstaltungen gebucht, Junggesellinnenabschiede,
Geburtstage, immer alles reine Frauenveranstaltungen. Mein Auftritt dauert
exakt 15 Minuten und ich tanze zu einem Medley von Marvin Gaye. Da ist alles
einstudiert. Erst beim letzten Song lasse ich alle Hüllen fallen, verdecke mein
Allerheiligstes aber immer mit der Hand. In der Regel schreien die Frauen schon
nach den ersten Sekunden „Ausziehen!“, „Zeig uns dein Schwanz!“ usw. Da wird gegrölt
und gepöbelt, gegrapscht und gezerrt, das können sie sich nicht vorstellen. Wissen
sie, ich bin auch Künstler, tanze schon seit ich 3 Jahre alt bin. Aber als mich
kürzlich eine Frau anschrie, ich glaube ich war zu ihrem 60. gebucht, dass sie
mich mit dem Kuchenmesser aufschlitzen würde, wenn ich die Hand nicht von
meinem Schritt nehme, habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, den Job an den
Nagel zu hängen.