Russisch lernen

Dienstag, 7. Juni 2016
Weltliteratur aus Russland - Für Deutsche leider ungenießbar 


Mutter: 
(lallt, Augen leicht verdreht)

Was machst Du da?

Kind: 
(stolz)

Ich lerne Russisch.

Mutter: 
(wütend)

Hast Du nichts besseres zu tun? Du musst noch meine Tabletten aus der Apotheke holen.

Kind: 
(beschwichtigend)

Mama, heute ist Sonntag.

Mutter: 
(aggressiv)

Und warum ausgerechnet scheiß Russisch? Hast du vergessen was die Oma angetan haben?

Kind: 
(artig)

Von meinem Geburtstagsgeld habe ich mir doch... (wird unterbrochen)

Mutter: 
(grölt)

Haben wir auch lange für gespart.

Kind: 
(fährt fort, freudig erregt)

... habe ich mir von Bulgakow "Meister und Margarita" gekauft...  (wird unterbrochen)

Mutter: 
(äfft nach)

Margarita, Margarita, Margarita! Hätte ich jetzt auch gerne. Scheißdreck. Alles Scheiße. Kotzen könnte ich.

Kind: 
(Kopf gesenkt)

Jedenfalls habe ich in der Buchhandlung nicht gleich auf die Übersetzung geachtet und ... (wird unterbrochen)

Mutter: 
(spöttisch, gehässig)

Und dann hast du es in Russisch gekauft?! Ha, Ha!

(lacht laut, zeigt mit dem Finger, springt von einem Bein zum anderen)

Kind: 
(fährt ruhig fort)

... und habe das Buch in der Übersetzung von Alexander Nitzberg gekauft, das ist die Neuauflage von 2012 aus dem Galiani Verlag. Schon auf der ersten Seite habe ich gemerkt, dass die Übersetzung vom Russischen ins Deutsche irgendwie nicht stimmig ist, ja, teilweise sinnentstellend wirkt und dadurch der Lesespass gegen Null tendiert... (wird unterbrochen)

Mutter: 
(jähzornig, tobend)

Ja, bist du denn total bescheuert! Und jetzt hast du nur eine Seite gelesen? Wie kann man nur so saudoof sein! Weißt du was das Geschenk gekostet hat? Weißt du wie viel Geld 10 Euro sind? Ich könnte Dir eine klatschen für deine Blödheit. Das sind... (zählt nuschelnd an den Fingern ab) ... das sind 5 Sechser im Penny. Na warte, du verwöhnte Göre, ich wecke den Vater, wirst schon sehen, 10 Euro verplempern für eine Seite Buch, wer kauft überhaupt so ein Scheiß für sein Geld, den Vater werde ich wecken, wirst schon sehen, Du missratendes ... (wird unterbrochen)

Kind: 
(flehend)

Mama, nicht den Papa wecken!

Mutter: 
(wütend)

Richtig den Arsch müsste man dir versohlen, Du, Du ... (wird unterbrochen)

Kind: 
(beruhigend)

Mama! Lass mich doch erst mal erklären.

(kramt das Buch hervor, bittet mit einer Handbewegung die Mutter, sich zu setzen) Also, schau mal. (die Mutter lässt sich auf das Bett fallen, rollt die Augen)

In Kapitel 1 von "Meister und Margarita" – Reden Sie nie mit Unbekannten – heißt es in meinem Buch: 

(liest vor)

"Es war Frühling, eine heiße Dämmerstunde am Patriarchenteich. Zwei Herren zeigten sich. Der erste im grauen Sommeranzug. Ein brünetter Vierziger, klein, rundlich, beglatzt. Seinen recht ansehnlichen Hut hielt er zusammengedrückt in der Falte. Das glattrasierte Gesicht zierte eine überdimensionale dunkle Hornbrille. Der zweite ein junger Mann. (macht eine nachdenkliche Pause) Breite Schulter, struppiges rotes Haar unter einer weit nach hinten gezogenen Schirmmütze mit Schachmuster. Kariertes Hemd, zerknitterte weiße Hose, schwarze Latschen."

Mama, das klingt doch komisch, überhaupt nicht rund, oder?

(die Mutter starrt stumm zur Decke)

Ich habe dann mal recherchiert und im Internet Auszüge von anderen Übersetzungen gefunden. Einmal die von Thomas Reschke, das ist wohl die gängigste, und einmal von irgendeinem Eric Boerner, aus einem Selfpublishing Verlag.

Reschke schreibt in seiner Übersetzung zur selben Stelle im Buch:

"An einem ungewöhnlich heißen Frühlingstag erschienen bei Sonnenuntergang auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard zwei Männer. Der eine, etwa vierzig Jahre alt, trug einen mausgrauen Sommeranzug, war von kleinem Wuchs, dunkelhaarig, wohlgenährt und hatte eine Glatze; seinen gediegenen Hut, der wie ein Brötchen aussah, hielt er in der Hand und das glattrasierte Gesicht war mit einer überdimensionalen schwarzen Hornbrille geschmückt. Der andere, ein breitschultriger junger Mann mit wirbligen rötlichem Haar, hatte die gewürfelte Sportmütze in den Nacken geschoben und trug ein kariertes Hemd, zerknautschte Hosen und schwarze Turnschuhe."

Gediegener Hut, der wie ein Brötchen aussah? Gewürfelte Sportmütze? Schwarze Turnschuhe? Im Moskau der 30iger Jahre! Also Bitte...

Mutter: 
(ruhig)

Hmm...

Kind: 
(aufgeregt)

Okay, dann die Übersetzung von Boerner, wobei ich glaube, dass der Name schon ein Witz sein soll.

"Eines Frühlings, zu der Zeit eines nie dagewesenen, heißen Sonnenuntergangs in Moskau, erschienen an den Patriarchenteichen zwei Bürger. Der erste von ihnen war mit einem sommerlichen grauen Zweiteiler bekleidet, war von kleinem Wuchs, wohlgenährt, kahl, seinen dazu passenden Hut trug er wie eine Pirogge in der Hand und auf dem gut ausrasierten Gesicht befand sich eine schwarze Hornbrille von übernatürlichen Ausmaßen. Der zweite – ein breitschultriger, rotblonder, zotteliger junger Mann mit einem keck in den Hinterkopf geschobenen kariertem Käppi – trug ein Cowboyhemd, zerknautschte weiße Hosen und schwarze Turnschuhe."

Meine Güte. Mama! Das ist doch peinlich. Bulgakow ist Weltliteratur. Aber scheinbar nur auf Russisch... 

Mama?


(Schnarchgeräusche)


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