Ich bin in jeglicher Hinsicht
Durchschnitt und ich fahre mit der Bahn auf die Arbeit und auch wieder zurück.
Wenn der Zug am Bahnsteig einfährt, laufe ich ihm bis er zum Stehen kommt
hinterher, aus Angst, er könnte an mir vorbeifahren und ich es nicht mehr
rechtzeitig schaffen den Zug zu erreichen, der dann ohne mich abfährt und ich zu
spät zur Arbeit komme, was sowieso das Schlimmste ist. Es macht mich auch
unglücklich und es ergeht mir sicherlich wie vielen Anderen, wenn ich beim
Einsteigen bemerke, dass der Zug gut gefüllt ist, also zu voll ist und ich
vielleicht nur noch einen Platz bekomme, auf dem ich mit dem Rücken zur
Fahrtrichtung sitzen muss. Für diesen Fall habe ich immer Pfefferminz
einstecken, zum einen weil ich nicht möchte, dass meine Nachbarn wissen, das ich
vor dem Beginn der Reise, weil man ja nie weiß wie lange die Fahrt dauern
könnte, in dem gelben Viereck am Bahnsteig noch eine geraucht habe und zum
Anderen beruhigen mich die Bonbons davor, dass mir durch das Rückwärtsfahren
schlecht wird und auch in dieser Hinsicht bei Theaterbesuchen oder sonstigen
stressigen Momenten gute Dienste erwiesen hat. Sollte mir die Rückwärtsfahrt dann
doch nicht bekommen, zum Beispiel wenn ich in diesen Doppelstockzügen zusätzlich
auch noch oben sitzen muss, Stehen kommt ja nicht in Frage, da ich erholt auf
Arbeit ankommen muss und es oben so sehr mehr schaukelt als unten, habe
ich für diesen Fall in meiner rechten Manteltasche, im Sommer in der rechten
Hosentasche, eine kleine Spucktüte einstecken, ein Plastikbeutelchen, wie man
es früher in Drogerien an der Kasse bekommen hat, aber wie ich bemerken musste,
nicht mehr überall und ganz selbstverständlich angeboten bekommt. Dann macht es
mich glücklich, wenn ich weiß, dass wenn ich mich übergeben müsste, nichts von
dem Erbrochenen auf den Boden oder Sitze kleckern würde, sondern in einen
Beutel geht, den ich luftdicht und geruchsneutral mit einem Knoten verschließen
und das Ausmaß dieser über alle Maßen peinlichen Situation begrenzen könnte.
Ich bin mir auch sehr sicher, dass derartige Hilfsmittel weiter verbreitet
sind, als man allgemein denkt, ist es doch genauso normal, dass sich viele
Menschen vor längeren Autofahrten außerhalb der Regel duschen, immer in der
Sorge, dass wenn man in einen Unfall verwickelt wird und zum Einleiten von
lebenserhaltenden Maßnahmen entkleidet, möglicherweise mit einer dafür vorgesehenen
Schere bis auf die Scham entblößt wird und dann in dieser höchst unangenehmen Lage
nicht den gesellschaftlichen Anforderungen an einen gepflegten Patienten genügt
und im Nachgang vielleicht sogar dem Klatsch und Tratsch des Krankenhauspersonals
ausgesetzt ist.
Nicht normal sind für mich
diejenigen Pendler in Zügen, die wegen ihrer Vielfahrerei Anspruch auf einen
bestimmten Platz im Zugabteil erheben, nur weil sie gewisse Sitze besonders
häufig benutzen. Die erkennt man dann an deren Blicken, angewidert und voller
Verachtung für den Eindringling im eigenen, seit Jahren verteidigten Revier, oft
kennen diese Personen den eingesetzten Schaffner mit Vornamen, die Fahrkarte
wird schon längst nicht mehr gezeigt und prallen ihr Wissen für jedermann
hörbar heraus, "Grüße an die Frau, Gute Besserung den Kindern" und so weiter. Ich
widerrum, wechsele auf Bahnfahrten gerne die Plätze, macht es mir doch Freude,
Menschen zu beobachten und in einem geheimen Fragespiel, Berufe, Partnerwahl
und begangene Straftaten zu erraten oder mir wenigstens vorzustellen, zu
welchen Taten diese Menschen fähig wären. Bei Menschen, die im Zug lesen, frage
ich mich immer, warum sie gerade dieses Buch lesen und kein anderes und welche
Gedanken ihnen durch den Kopf gegangen sind, als sie sich für eben dieses Buch für
die Fahrt entschieden haben und wie oft diese Erwartungen enttäuscht worden
sein müssen. Ich lese in Gegenwart von Männern immer Hegel und in Beisein von
Frauen Fontane, was mich noch niemals in unangenehme Situationen gebracht hat. Regelrecht
angewidert bin ich allerdings von solchen Mitreisenden, die ihre Beine und Füße
so ausgerichtet haben und immer auf der Suche nach der bequemst möglichen
Sitzposition sind, und dabei mit ihren Schuhsohlen die Sitzflächen berühren und
ich diese Plätze dann meiden muss oder solche, die, was zum Glück immer
seltener vorkommt, auf der Toilette rauchen und beim Verlassen der Örtlichkeit,
die doch von so vielen Anderen oder Kindern gleichfalls genutzt werden muss,
den anarchischen Duft von kalter Asche an sich kleben haben und ihre
Überlegenheit und Selbstbewusstsein, dem redlichen Raucher wie mir, wie eine
schallende Ohrfeige ins Gesicht schleudern.