Die WC-Kabine ist durch Rauchmelder überwacht

Montag, 21. September 2015

Ich bin in jeglicher Hinsicht Durchschnitt und ich fahre mit der Bahn auf die Arbeit und auch wieder zurück. Wenn der Zug am Bahnsteig einfährt, laufe ich ihm bis er zum Stehen kommt hinterher, aus Angst, er könnte an mir vorbeifahren und ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen den Zug zu erreichen, der dann ohne mich abfährt und ich zu spät zur Arbeit komme, was sowieso das Schlimmste ist. Es macht mich auch unglücklich und es ergeht mir sicherlich wie vielen Anderen, wenn ich beim Einsteigen bemerke, dass der Zug gut gefüllt ist, also zu voll ist und ich vielleicht nur noch einen Platz bekomme, auf dem ich mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen muss. Für diesen Fall habe ich immer Pfefferminz einstecken, zum einen weil ich nicht möchte, dass meine Nachbarn wissen, das ich vor dem Beginn der Reise, weil man ja nie weiß wie lange die Fahrt dauern könnte, in dem gelben Viereck am Bahnsteig noch eine geraucht habe und zum Anderen beruhigen mich die Bonbons davor, dass mir durch das Rückwärtsfahren schlecht wird und auch in dieser Hinsicht bei Theaterbesuchen oder sonstigen stressigen Momenten gute Dienste erwiesen hat. Sollte mir die Rückwärtsfahrt dann doch nicht bekommen, zum Beispiel wenn ich in diesen Doppelstockzügen zusätzlich auch noch oben sitzen muss, Stehen kommt ja nicht in Frage, da ich erholt auf Arbeit ankommen muss und es oben so sehr mehr schaukelt als unten, habe ich für diesen Fall in meiner rechten Manteltasche, im Sommer in der rechten Hosentasche, eine kleine Spucktüte einstecken, ein Plastikbeutelchen, wie man es früher in Drogerien an der Kasse bekommen hat, aber wie ich bemerken musste, nicht mehr überall und ganz selbstverständlich angeboten bekommt. Dann macht es mich glücklich, wenn ich weiß, dass wenn ich mich übergeben müsste, nichts von dem Erbrochenen auf den Boden oder Sitze kleckern würde, sondern in einen Beutel geht, den ich luftdicht und geruchsneutral mit einem Knoten verschließen und das Ausmaß dieser über alle Maßen peinlichen Situation begrenzen könnte. Ich bin mir auch sehr sicher, dass derartige Hilfsmittel weiter verbreitet sind, als man allgemein denkt, ist es doch genauso normal, dass sich viele Menschen vor längeren Autofahrten außerhalb der Regel duschen, immer in der Sorge, dass wenn man in einen Unfall verwickelt wird und zum Einleiten von lebenserhaltenden Maßnahmen entkleidet, möglicherweise mit einer dafür vorgesehenen Schere bis auf die Scham entblößt wird und dann in dieser höchst unangenehmen Lage nicht den gesellschaftlichen Anforderungen an einen gepflegten Patienten genügt und im Nachgang vielleicht sogar dem Klatsch und Tratsch des Krankenhauspersonals ausgesetzt ist.

Nicht normal sind für mich diejenigen Pendler in Zügen, die wegen ihrer Vielfahrerei Anspruch auf einen bestimmten Platz im Zugabteil erheben, nur weil sie gewisse Sitze besonders häufig benutzen. Die erkennt man dann an deren Blicken, angewidert und voller Verachtung für den Eindringling im eigenen, seit Jahren verteidigten Revier, oft kennen diese Personen den eingesetzten Schaffner mit Vornamen, die Fahrkarte wird schon längst nicht mehr gezeigt und prallen ihr Wissen für jedermann hörbar heraus, "Grüße an die Frau, Gute Besserung den Kindern" und so weiter. Ich widerrum, wechsele auf Bahnfahrten gerne die Plätze, macht es mir doch Freude, Menschen zu beobachten und in einem geheimen Fragespiel, Berufe, Partnerwahl und begangene Straftaten zu erraten oder mir wenigstens vorzustellen, zu welchen Taten diese Menschen fähig wären. Bei Menschen, die im Zug lesen, frage ich mich immer, warum sie gerade dieses Buch lesen und kein anderes und welche Gedanken ihnen durch den Kopf gegangen sind, als sie sich für eben dieses Buch für die Fahrt entschieden haben und wie oft diese Erwartungen enttäuscht worden sein müssen. Ich lese in Gegenwart von Männern immer Hegel und in Beisein von Frauen Fontane, was mich noch niemals in unangenehme Situationen gebracht hat. Regelrecht angewidert bin ich allerdings von solchen Mitreisenden, die ihre Beine und Füße so ausgerichtet haben und immer auf der Suche nach der bequemst möglichen Sitzposition sind, und dabei mit ihren Schuhsohlen die Sitzflächen berühren und ich diese Plätze dann meiden muss oder solche, die, was zum Glück immer seltener vorkommt, auf der Toilette rauchen und beim Verlassen der Örtlichkeit, die doch von so vielen Anderen oder Kindern gleichfalls genutzt werden muss, den anarchischen Duft von kalter Asche an sich kleben haben und ihre Überlegenheit und Selbstbewusstsein, dem redlichen Raucher wie mir, wie eine schallende Ohrfeige ins Gesicht schleudern.


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