#Tatort
Ich
weiß, dass ich immer weniger Freunde habe. Das war dann wohl auch der Grund
dafür, eine Einladung zum öffentlichen
Tatort gucken anzunehmen. Wie mir berichtet wurde, hatte ich mich nach der
letzten Pokerrunde mal wieder daneben benommen, ich hatte also etwas gutzumachen.
Ich habe noch nie einen Tatort gesehen. Ich habe es vor Jahren mal versucht,
aber nicht länger als eine Viertelstunde durchgehalten, bevor ich ehrlich und beschämt
weggeschaltet hatte. Durch die Bild-Zeitung weiß ich aber, dass das Format noch
erfolgreich im Ersten läuft („Jetzt
spricht die hübsche Tatort-Leiche“).
Die
speckige Kneipe riecht nach feuchten Jutebeuteln, Mate-Wodka und faulig-süßem
Grasgeruch, der aus allen Poren der mit Konzertplakaten beklebten Wände strömt.
Ich fühle mich nicht unwohl. Von der Decke hängt ein vollgepisstes Bettlaken,
was als Projektionsfläche für den Uralt-Beamer dient und in dem sich sonst wohl
der Barkeeper nach Feierabend mit den Gästen suhlt, die das letzte Bier
abarbeiten, statt zu zahlen. Der Laden ist gut gefüllt, einige Gesichter kennt
man, viele nicht, in der Mehrzahl Studenten, Röhrenjeans und Vollbärte. Über
Letzteres rege ich mich nicht mehr auf, erst recht, weil ich mal einen Hipster
mit Vollbart und glatt rasiertem Schwanz und Eiern in der Dusche im Schwimmbad
gesehen habe. Ich dachte zuerst, da macht einer einen Handstand und streckt mir
dabei die Zunge raus. Wir sind zu dritt, der Dicke, der Verheiratete und ich. Freunde
aus Schulzeiten, die über die Jahre den Kontakt und die Stadt, die gerade noch
Großstadt ist, gehalten haben. Der Verheiratete hat vorab einen Tisch bestellt.
Ich bin überrascht und kann mir nicht vorstellen, dass hier jemand Reservierungen
entgegennimmt, geschweige denn ans Telefon geht, wenn es klingelt. Bevor wir
uns setzen, bestelle ich mir an der Bar einen Wodka-Red Bull und ein Jever aus
der Flasche. Macht 9,50 € plus 1 Euro Glaspfand. Der Boden knirscht dennoch
beim Gehen. Meine Begleiter trinken Radler oder Wasser, obwohl wir zu Fuß
gekommen sind.
Auf
dem Weg zu dem Laden haben sie mir noch vorausschauend und zu lang erklärt,
dass es eigentlich nicht um den Tatort an
sich geht, sondern darum, den Tatort in einer Gemeinschaft zu sehen und
dazu live bei Twitter Kommentare zu posten. Das ist „witzig und hat
Kultcharakter“, dass machen sie jetzt schon seit ein paar Jahren so. Zuletzt
sogar beim ESC. Die Frau des Verheirateten sitzt auch mit ihren Mädels zuhause, auf der Couch, in hoffnungsvoller Erwartung
den Mörder als Erste zu entlarven oder sich über die ermittelnden Kommissare zu
amüsieren, heute zum Beispiel Thiel und
Boerne, was mir nichts sagte, ihn aber belustigte. Jetzt wußte ich endlich,
wie die ihre Sonntagabende verbringen, dachte ich mir, während ich durstig den
Kotzflecken vor der Kneipe ausgewichen bin, ohne über die
schlampig abgestellten Fahrräder zu stolpern.
Am
Tisch sitzend bemerkt der Dicke zufrieden, dass es eine hervorragende Idee des
Verheirateten war, zum „Münster-Tatort“ einen Platz zu reservieren, da es heute
voller ist als sonst. Das Problem kannte ich sonst nur, wenn Bayern spielte. Münster
klingt für mich nicht aufregend. Aber die Sopranos spielen ja auch nur in New
Jersey und das machte mir Hoffnung. Als wir uns setzen, läuft im Hintergrund noch
die Tagesschau, auch lange nicht gesehen, stelle ich beim Betrachten des Studiodesigns
und Moderatorin fest. Bei den Sportnachrichten fällt mir wieder ein, dass ich
noch ein paar Wetten platzieren wollte und bekomme für einen hohen Sieg von AC Florenz
(ohne Gomez in der Startelf) und Niederlage AS Rom (Klose verletzt) eine
anständige 6er Quote, welche mir 20 Euro Einsatz wert und dank meinem Handy in
30 Sekunden erledigt ist. Der Dicke und der Verheiratete pusten währenddessen
die Aschereste meiner Zigarette vom Tisch und platzieren ihre Smartphones so vor
sich, dass sie in Armlänge zu erreichen sind. Der Verheiratete hängt seine
Funktionsjacke über die Lehne des viel zu kleinen Stuhls so gekonnt ab, dass
Schlüssel, Geld und Ausweis nicht rausfallen können. „Gleich geht`s los“, stupsen
sie sich voller Vorfreude an, ihre Stimmen klingen höher als sonst. So
aufgeregt habe ich die beiden zuletzt vor dem Halbfinale Deutschland gegen
Brasilien gesehen. Der Dicke war mal kräftig, erinnere ich mich. Zu dritt haben
wir es mal in einem Auswärtsspiel unserer Mannschaft geschafft, ein Sixpack der
Bullen umzukippen. Der stand zwar schon auf Kippe an einem Bordstein und war
unbesetzt, trotzdem hat es ganz schön laut geknallt.
Nach
der Eingangsmelodie zum Tatort, die mir ungewöhnlich präsent im Ohr ist,
bestelle ich mir nach 10 Minuten groteskem Klamauk auf der Leinwand an der kaum
besuchten Theke ein zweites Bier und einen Tequila, nach 30 Minuten Tatort ordere
ich einen Long Island, gebe das erste Mal Trinkgeld und bleibe am Tresen stehen.
In dem Laden herrscht ein beängstigendes, beredtes Schweigen, man merkt, dass
die Beteiligten über eine gewisse Routine verfügen und abwechselnd zur Leinwand
und auf ihr Handy schauen, wischen oder tippen. Manchmal werden die Telefone für
wenige Sekunden dem Nachbarn gereicht, der dann nach Kenntnisnahme irgendeines
Inhaltes zustimmend nickt, leise kichert oder den Kopf schüttelt. Im hinteren
Teil des Lokals, der Bereich von dem man die Leinwand nicht sehen kann,
unterhalten sich kleine, bunte Gruppen flüsternd, sogar die Hunde, die sie
dabei haben, liegen artig vor deren Füßen.
„Ich
finde den Liefers total toll!“ - „Ja, ich auch. Der spielt den Schwulen richtig
gut.“ Neben mir warten zwei circa 20 Jahre alte Mädchen auf ihre
Weißweinschorlen, von der die eine, ihren Dutt mit einem Bleistift, die andere
mit Trinkhalmen zusammenhält. Die kleinere von Beiden trägt eine weiße Leggins,
die ihren Schritt interessant und mit Deutungsmöglichkeiten einschnürt, was ich
nur erkennen kann, weil sie ihr zu lang geratendes, kariertes Baumwollhemd, an
den vorderen Enden um den Bauch zum Knoten gebunden hat und ich möglicherweise
länger hingeschaut habe, als es sich schickt. Ich leere mein Glas in einem Zug,
schüttel mich kurz in Anerkennung der Leistung des Barkeepers in dessen
Richtung und gehe ohne zu Wanken zum Klo.
„All
Cops Are Bastards“ lese ich an einem über dem Urinal aufgeklebten Flyer, ich
richte meinen Strahl drauf, schaffe es aber nicht mal über den Rand des Beckens.