Die Wahrheit über die Manipulation von Artikeln, Fälschungen und Täuschungen beim SPIEGEL
22.12.2018. Wir treffen Claas Relotius in einem abgelegenen Wirtshaus im Brandenburger Hinterland, es ist spät geworden, die Nacht kalt und
klar, die Gaststube durch den cremefarbenen, handwerklich-kunstvoll
gestalteten Kachelofen urig geheizt, der Holzboden knarzt beim Laufen, an den
Wänden hängen Geweihe von Hirschen und Wildschweinen, aus der Küche, längst
geschlossen, strömt noch Geruch von Sauerkraut und Schlachteplatte, irgendwoher
ertönen die Klänge einer Mundharmonika, durch die zugigen Spalte der alten
Holztüren eine leise Melodie, es ist Neil Young`s “Heart of Gold”, unweigerlich
beginnen wir zu summen:
I wanna live, I wanna give
I've been a miner for a heart of gold
It's these expressions I never give
That keep me searching for a heart of gold
And I'm getting old
Keeps me searching for a heart of gold
And I'm getting old
I've been to Hollywood, I've been to Redwood
I've crossed the ocean for a heart of gold
I've been in my mind, it's such a fine line
That keeps me searching for a heart of gold
And I'm getting old
Keeps me searching for a heart of gold
And I'm getting old
Keep me searching for a heart of gold
You keep me searching and I'm growing old
Keep me searching for a heart of gold
I've been a miner for a heart of gold
Es ist jetzt 22:11 Uhr und der einzige Kellner putzt mit
einem zu schnell gealterten Lappen, mit den Augen auf die
langsam tickende Wanduhr schielend, eine uralte Kuckucksuhr, der Vogel längst
entflogen, die viel zu selten genutzten Weingläser, denn in diesem kleinen
Örtchen im Nirgendwo, einer vergessenden Gemeinde mit einer Arbeitslosenquote
von 77 %, ohne Frisör und Zahnarzt und wo man lieber Bier trinkt, als Wein,
denn das ist billiger und viel zu oft alleine zu Hause, statt im “Dorfkrug”,
denn das ist unser Treffpunkt mit Claas Relotius, beide werden wir über Nacht bleiben und der durch seine gefälschten
oder erfunden Reportagen für einen der größten Skandale in der Geschichte des “Nachrichten-Magazin Der SPIEGEL” gesorgt hat, ein trauriger Ort, aber weit weg von der schillernden Fassade des
Spiegel-Gebäudes Ericusspitze in Hamburg und wo derzeit die Köpfe derjenigen
rauchen, die um Schadensbegrenzung und Wiedergutmachung ob der Taten des
gefeierten und vielfach ausgezeichneten Wunderjournalisten bemüht sind.
Zu DDR-Zeiten lebten in dem Ort bis zu 3.000 Menschen, heute
sind es noch 331, so steht es auf dem Ortseingangsschild geschrieben, eine Zahl
wie eine Anklage, fast alle Bewohner arbeitenden früher für die angeschlossene
LPG und dem Mastviehzuchtbetrieb, es waren gute Zeiten, das hat man uns
versichert, obwohl nicht viele bereit sind mit uns zu reden, zu groß die
Verbitterung, nach der Wende, der Arbeitslosigkeit und Flüchtlinge hat man
jetzt auch im Dorf, jeder Zweite wählt hier die AfD, man fühlt sich nicht mehr
sicher, sagen sie, die wenigen Jugendlichen die geblieben sind, kahlgeschoren,
mit Springerstiefeln, organisieren sich, laufen mit geballten Fäusten
Patrouillen im Ort, die einzige Bushaltestelle, beschmiert mit
ausländerfeindlichen Parolen und zugepflastert mit Zigarettenkippen aus Polen, das nur eine
Autostunde entfernt ist und wo man eine Stange “West” schon für 20 Euro kaufen
kann. Kopfschmerzen bekommt hier schon lange niemand mehr.
Claas Relotius sitzt in der hintersten Ecke der Gaststube,
ein dunkler, schmuckloser Tisch, die letzten Stammgäste gegangen, 3 Skatfreunde
und zusammen 241 Jahre alt, bewiesen von der beschrifteten Kreidetafel in der Mitte des auf
Lebenszeit reservierten Tisches, bis auf den Kellner, den alle nur
“Wirt” rufen, sind wir alleine.
Claas Relotius ist ein attraktiver Mann, Anfang 30,
hochgewachsen, schlank, ein Damenmann und man kann sich gar nicht so recht
vorstellen, wie dieser Schwiegermuttertraum, den alle bewundert haben, den
Top-Journalisten, dem Erfolgsmenschen, wie dieser junge Mann, der alles hatte,
alles verlieren konnte, betrogen, gefälscht, erfunden, gefallen.
Das Eis zu brechen, gelingt ihm besser als uns, eine sanfte,
herrlich sonore Stimme rundet sein höfliches Erscheinungsbild ab, er bietet uns
das Du an, wir nehmen an, der Wein ist schnell entkorkt, noch mehr Wärme
durchflutet den Raum, es wird sogar gelacht und schöne Grübchen zeichnen sein
Gesicht.
Raupenschlag:
Unter Kollegen. Was ist schiefgelaufen, Claas?
Claas Relotius:
Ich bin mein Job los. Die Geier kreisen. Ich bin der einsamste Mensch der Welt. Eigenverantwortlich. Wenn das Leben eine Garderobe ist, bin ich der vergessene Mantel.
Raupenschlag:
Wir müssen zugeben, dass uns das alles, sehr verwirrt. Wir
sind keine Leser des SPIEGEL, haben von Ihnen, Entschuldigung, dir, bisher
nichts gelesen, das haben wir in Vorbereitung auf unser Treffen natürlich
nachgeholt, die Artikel sind online noch alle einsehbar und wir waren dann doch
sehr überrascht.
Claas Relotius:
Du liest den SPIEGEL nicht? Nicht mal im Zug, auf dem Klo, beim Arzt?
Raupenschlag:
Nein. Mit 16, 18 Jahren, ja, da haben wir mal drin
geblättert, aber nein, jetzt nicht mehr. SPIEGEL ONLINE, mal ein Fußballergebnis nachgelesen, wenn es bei Googles News ganz oben als Link
angeboten wurde, aber mit Verlaub, wir kennen auch sonst niemanden der den SPIEGEL
liest. Und kostet ein Heft mittlerweile 5,10 €? Das ist ja Wahnsinn.
Claas Relotius:
Im Abo nur noch 4,80 €. Qualitätsjournalismus hat seinen
Preis.
Raupenschlag:
Ich zweifele an beiden Merkmalen. Entschuldigung, wir haben unsere Schwierigkeiten mit dem SPIEGEL, der gesamten Institution, dem Apparat der dahintersteht.
Claas Relotius:
Du meinst den arroganten Mainstream?
Raupenschlag:
Der SPIEGEL ist ein, wie viele andere auch, und das haben unsere Recherchen
in den letzten Tagen nochmal bestätigt, das kann man so sagen und bitte
korrigiere mich, wenn ich etwas Falsches sage, aber wir haben viel gelesen, zuviel, uns durchkämpfen müssen, man ist das nicht mehr gewohnt, uns ist das alles zu links, zu pseudowichtig, zu zeigefingerlastig, zu öffentlich-rechtlich, typisch linke Themen, produziert von typisch linken Journalisten für typisch
linke Leser. Der SPIEGEL ist per se mit dem Makel behaftet, bestenfalls tendenziös zu sein, oder anders
ausgedrückt, ausschließlich eine farblose Welt beschreibt, in der uns die Schattierungen
fehlen, du weißt was ich meine, Gut und Böse, so eine veraltete Weltsicht,
Altherrensozialismus, Kumpelgedöns, Durchschnittsbürgerlogik, der SPIEGEL segelt Backbord, dreht sich im Kreis, man
kommt nie an.
Claas Relotius:
Das ist aber auch das Faszinierende. Eine endlose Reise. Es
geht nicht um Ergebnisse, der Konflikt ist der Reiz, die Emotionen die daraus
erwachsen, oder besser noch, Probleme erst entstehen zu lassen, Krisen
erfinden, das sind dann die besten Geschichten, da betritt man Neuland, um in
dem Bild der Reise zu bleiben, das ist doch der Traum eines jeden Journalisten,
in Regionen vorstoßen, die so weit entfernt sind und die so wenig greifbar
sind, aber dennoch, beim Leser, Gefühle wecken, meinetwegen dem
Gymnasiallehrer, jedenfalls stelle ich mir meinen Leser immer so vor, Anfang-
Mitte 50, kleine Brille, beglatzt, Tweed-Sakko, Geschichte und Mathe, bis in
die 80er Jahre strammer SPD-Wähler, danach Sympathisant mit den Grünen, später
aus Wut auch mal die Linke gewählt, Sonntag Lindenstraße und Tatort, das ist
Gesetz, einmal im Monat Sex mit einer thailändischen Prostituierten, die Eltern
pflegt man selbst. Jedenfalls, worauf
ich eigentlich hinauswill, denn du hast gerade ein ganz spannendes Thema angesprochen,
ich glaube du hast gesagt, dass der SPIEGEL “typisch linke Themen, produziert”...
Raupenschlag:
Ja, genau, “typisch linke Themen, produziert von typisch linken
Journalisten für typisch linke Leser”.
Claas Relotius:
Das mit der "Produktion" ist mir wichtig, ich denke dann
versteht man das Ganze auch besser. Wir verkaufen Nachrichten. 5,10 €. Diese 5,10 €
…
Raupenschlag:
...oder 4,80 € im Abo, das haben wir uns gemerkt!
Entschuldigung, fahre fort, bitte...
Claas Relotius:
… diese 5,10 €, oder 4,80 €, die bezahlt nicht jeder und
immer weniger tun dies, dass wissen wir alle. Wie viele Abonnenten wir haben,
weiß ich selber nicht genau. Diese Leser, also die Treuen, die, die bezahlen,
mich bezahlen, also mein gerade erwähnter Lehrer, der hat eine gewisse
Erwartungshaltung. Und nur diese Erwartungshaltung, NUR DIESE, habe ich zu
befriedigen. Stell dir mal vor, ich schreibe einen Artikel über Donald Trump und die USA und das da auch andere Dinge passieren, Positives, oder was über einen
anständigen Wehrmachtssoldaten, was denkst du denn, was dann los ist bei uns.
Da sind wir 2 Wochen lang nur damit beschäftigt, wütende Kommentare und
Kündigungsschreiben zu beantworten. Das ist nicht vermittelbar. Das geht
einfach nicht. Das ist weltfremd. Die Leute würden denken, salopp gesagt, ich
scheiße denen in ihr Wohnzimmer. Die bezahlen uns dafür, dass die das lesen
können, woran sie glauben, was sie kennen und nichts anderes. Denn es ist immer die Lüge am schönsten, die man für die Wahrheit hält. Das ist doch ganz simpel.
Raupenschlag:
Das erklärt aber noch nicht, warum man dann Texte erfinden
muss, fälschen, oder was auch immer.
Claas Relotius:
Du hörst mir nicht richtig zu. Das Produkt, was ich schaffe,
meine Reportagen, sind richtig. Sind wahr. Da ist nichts verkehrt. Und zwar in Bezug auf
die Erwartungshaltung der Leser. Wenn ich immer nur schreiben würde, was
tatsächlich ist, dann wäre ich ein sau-schlechter Journalist, zumindest für den
SPIEGEL. Keine Story, kein Produkt. Leere Zeilen. Kein Geld. Kein zustimmendes Nicken des Lehrers, dass er Recht mit allem hat, es auch schon immer wusste, dass brauchen die Menschen. Der Skandal um
meine Person ist nur ein Sturm im Wasserglas, ein Systemfehler, ein Verstoß
gegen denklogische Grundsätze. Wenn man
so will, ist das was man mir vorwirft, nichts anderes, als von seiner Mutter beim Onanieren erwischt zu worden. Jeder macht
es, jeder muss es tun, aber wenn es einer mitbekommt, wird es peinlich.
Einfacher kann ich es nicht mehr erklären.
Raupenschlag:
Ein weiterer Vorwurf ist die Tatsache, dass deine
Reportagen, zu sehr in die Prosa abdriften, blumig, schmalzig, überborden
rührselig sind, aber mal losgelöst von der Qualität deines Schreibstiles, wir
mussten beim Lesen übrigens immer an die “deutsche Erfolgsautorin” Juli Zeh
denken, die ähnlich schreibt und du nicht als Beleidigung verstehen brauchst, mit ihren ausufernden Plattitüden, und es in ihren Texten nur so von
“blauen Himmeln”, “dunklen Nächten” und “düsteren Wolken” wimmelt und du das
auch ganz ähnlich machst, freilich ist das Geschmacksache, aber darauf kommt es
auch nicht an, ob ein Text schön ist oder nicht, oder gelungen, Leser muss er
haben, jedenfalls worauf wir hinaus wollen ist die Frage, was du in Zukunft
machen willst. Die Türen beim SPIEGEL sind erstmal verschlossen, ich denke da
sind wir uns einig, Romanautor, Drehbuch, da wird viel drüber gesprochen, das
wäre doch was, wo geht die Reise für dich hin?
Claas Relotius:
Kurzfristig: Anwalt nehmen. Da sind ja noch die Vorwürfe mit den Spenden, aber das brauchen wir heute nicht zu besprechen. Will ich auch nicht. Mittelfristig: Ich habe meinen Namen schon 2-mal
geändert, das kann ich auch ein drittes Mal machen. Das ist das Schöne am
Schreiben. Man kann immer wieder von vorne anfangen. Langfristig: Keine Ahnung. Eine Familie wäre toll. Gesundheit. Sowas.
Raupenschlag:
Danke für das freundliche und ehrliche Gespräch.
Raupenschlag:
Danke für das freundliche und ehrliche Gespräch.
Wir sitzen noch lange zusammen, lachen viel, trinken, laden den
Kellner an unseren Tisch, später essen wir in der Küche kaltes Sauerkraut im
Stehen. Als wir dann gemeinsam eine letzte Zigarette rauchen, es ist ganz ruhig
um uns, plötzlich, da ist sie wieder, die Mundharmonika, “Heart of Gold”, Wirt
winkt ab, “Lasst euch nicht stören, das ist unser kleiner Muhamed, das
Flüchtlingskind was wir im Haus aufgenommen haben. Er lernt so schnell. Muhamed
hat 2016 als 11-jähriger sein Taschengeld als Kurier in Istanbul aufgebessert
und durch einen falsch übermittelten Brief den Putschversuch gegen Erdogan in
der Türkei ausgelöst. Seitdem ist er auf der Flucht”. Claas und ich schauen uns in die Augen.
“Geh du schon ruhig aufs Zimmer, ich komme gleich nach.”