(AUF) der Suche nach der verlorenen Zeit

Mittwoch, 4. Juli 2018




Der monumentalste Roman der Menschheitsgeschichte. 7 Bände5.300 Seiten. “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” von Marcel Proust gilt als gefeiertes Jahrhundertwerk. Aber hält der Romanzyklus auch was die Kulturgeschichte uns verspricht? Unser Autor Mark Linzenburg nimmt sich 7 Monate Zeit um das Buch in seiner Gesamtheit zu lesen. Einen Band pro Monat. Und wäre diese Aufgabe nicht schon anspruchsvoll genug, ist es uns gelungen, Marcel Proust für 7 exklusive Interviews zu gewinnen. Nie waren die Voraussetzungen besser, dass Werk in seinem Ursprung zu ergründen und zu verstehen. Was ist À la recherche du temps perdu wirklich? Kolossale Zeitverschwendung oder fundamentale Lebensbereicherung? 


Band 1: In Swanns Welt ("Du côté de chez Swann") 


Kurzzusammenfassung: 

Erster Teil: Combray 

Die Handlung setzt im Jahr 1919 ein, als dem todkranken Erzähler (Marcel) in schlaflosen Nächten und beim Essen eines Sandtörtchens (“Madeleine”) die Erinnerungen an entscheidende Episoden seines Lebens überkommen. In einem 30 Jahre umspannenden Rückblick taucht der Erzähler zunächst in das Jahr 1890 ein, Marcel ist ein kränkliches 10- jähriges Kind und lebt in Paris, sein Vater, ein hoher und angesehener Regierungsbeamter, seine Mutter, eine Adlige, wächst behütet und umsorgt auf, umgeben von zahlreichen Bediensteten, der geliebten Großmutterdie sich alle rührend um ihn kümmern. Der Erzähler erinnert sich an die vielen Sommertage in Combray, dem Land- und Sommersitz der Familie, einen versagten Gutenachtkuss, der die Beziehung zu seiner Mutter nachhaltig beeinflusst, die vielen Spaziergänge und Abendveranstaltungen, die im Hause verkehrende Gesellschaft seiner Eltern und erste Bekanntschaften mit Pariser Persönlichkeiten, unter anderem Swann, wohlhabenden Lebemann und Kunstkenner sowie der einflussreichen Herzogin de Guermantes, von deren Auftreten er fasziniert ist. Schon im jungen Alter keimt im Erzähler der Wunsch ein großer Schriftsteller zu werden, fürchtet jedoch, keine Begabung zum Schreiben zu haben.  

Zweiter Teil: Eine Liebe von Swann 

Das Teilstück “Eine Liebe von Swann” stellt eine Besonderheit dar, insoweit es sich um eine Handlung handelt, die der Erzähler nicht selbst wahrnehmen konnte und zeitlich ca. ein Jahr vor seiner Geburt 1879 – 1880 angesiedelt ist. Es wird die Geschichte von Swann und Odette de Crecy erzählt, die sich beide im Salon von Madame Verdurin kennenlernen. Bei dem Salon handelt es sich um einen ausgesuchten Kreis von Freunden oder protegierten Günstlingen, die sich wöchentlich zur Abendunterhaltung treffen. Odette ist elegant, attraktiv, mittellos, wenig gebildet und nicht von tadellosem Ruf, steht aber dennoch in der Gunst von Madame Verdurin. Während eines Abends wird von einem Pianisten eine Sonate des Komponisten Vinteuil gespielt, wobei es Swann besonders ein “kleines Thema” des Stücks antut, eine kurze Melodie, die sich von der übrigen Sonate abhebt und ihm unvermitteltes, plötzliches Glück beschert. Ab diesen Moment fühlt sich Swann zu Odette leidenschaftlich hingezogen, obwohl sie ihm vorher eher unangenehm aufgefallen ist und verbindet die plötzliche entstandene Liebe zu ihr mit dem kleinen Thema der Sonate von Vinteuil. Nunmehr bemüht sich Swann bedingungslos um Odette und besteht darauf, sie jeden Abend mit seinem Wagen nach Hause zu kutschieren. Während einer dieser Fahrten kommt es zu einer ersten sinnlichen Annäherung zwischen den Beiden, als Swann Odette ihre verrutschte Cattleya- Orchidee im Ausschnitt zurechtrückt und später ein Synonym für den Austausch von Zärtlichkeiten zwischen beiden wird. In der Folge wird Odette die Geliebte Swanns, was beide geheim halten und Swann mit Geldgeschenken an Odette zurückzahlt. Swanns Glück währt jedoch nicht lange, da sich in ihm mehr und mehr der Verdacht aufdrängt, Odette hätte außer ihm noch weitere Liebhaber und ihn in ohnmächtiger Eifersucht zu innerer Distanz zu ihr gehen lässt. Nachdem noch ein anonymer Brief direkt Odette der massiven Untreue und Hinweise zu ihrer verruchten Vergangenheit enthält, stellt Swann Odette halbherzig zur Rede und diese in der Unterhaltung auf Frage Swanns lediglich ein früheres, aber bedeutungsloses Abenteuer mit einer Frau gesteht. Der Abschnitt endet mit einem verbitterten Swann, und der enttäuschten Feststellung, seine beste Zeit mit Odette vertan zu haben. 

Dritter Teil: Ortsnamen. Namen überhaupt 


Der letzte Abschnitt des Buches beginnt im Jahre 1919 mit den Erinnerungen des Erzählers an seine Aufenthalte im Grand Hotel der Küstenstadt Balbec, Städtereisen in Italien sowie der Tochter von Swann, seiner ersten Liebe. Der Erzähler sinniert über die Veränderungen der Champs-Elysées im Wandel der Zeit, außer der Erscheinung der immer noch schönen und stolzen Odette, ist nichts mehr wie es war.   




Interview 


Herr Proust … 

Marcel ist schon recht, gell? 

Marcel, sie gelten, man kann es so sagen, muss es so sagen, als einer der bedeutendsten, nein, der bedeutendste Erzähler des 20. Jahrhunderts, aber auch, und auch das gehört dazu, zu diesem Interview, es werden am Ende 7 sein, sind sie eben auch, wenn sie mir diesen Einstieg gestatten und verzeihen mögen, einer der am wenigsten gelesenen Autoren von Weltrang. Woran mag das liegen? 

Jetzt fallen sie aber mit der Tür ins Haus. Es verkauft sich schlecht. Das ist schon wahr. Aber sicher nicht der am wenigsten gelesene Autor von Renommee. Bei Amazon bin ich mit meiner Recherche immerhin noch auf Platz 26.251 gelistet. Euren Heinrich Böll beispielsweise, Literaturnobelpreisträger soweit ich weiß, den liest überhaupt niemand mehr. Und das vollkommen zu Recht. Die Recherche ist eine Herausforderung, das gebe ich zu, allein der Umfang mag den einen oder anderen abgeschreckt haben, wie sie ja scheinbar auch bis vor kurze Zeit, und es ist ja auch kein Buch für Taugenichtse, man muss sich schon für das Schöne und die Kunst und die Kultur interessieren, Leidensfähigkeit als einen Charakterzug ins sich tragen, aber eben auch ein Auge für die Dinge im Leben haben, an den man für gewöhnlich vorbeischaut oder durch sie hindurch oder drüber hinweg.   

Kommen wir zu “In Swanns Welt” …  

Welche Übersetzung haben sie gewählt? 

Rechel-Mertens. 

Schön. Und welche Ausgabe? 

Die neuste .... 

Nein, Nein, ich meine Gebunden oder Taschenbuch...? 

Taschenbuch.... 

Sehen sie, da verdiene ich noch weniger. Also praktisch nichts. Niemand sollte Taschenbücher lesen oder kaufen oder schlimmer noch, verlegen. 

Herr Proust... 

Marcel... 

Marcel, wir haben zumindest kein Gratis-Exemplar des Verlags genutzt. 

Immerhin... 

Der Objektivität wegen. 

Sicher, Sicher. Denn wenn sie es schlecht finden würden, dann würden sie es unter diesen Umständen auch sagen, müssten nicht heucheln, oder? 

Selbstverständlich! 

Ist es denn schlecht?  

Es ist grandios! 

BitteBitte ... 

Doch, doch. Doch dazu später. Wir stehen ja erst am Anfang.  

Womit? Wovon? 

Dem Interview. 

Dann fragen sie mich etwas! Bitte, fragen sie.... Endlich. 

Wir haben ja schon festgestellt, dass die Masse der Leser, die Recherche meiden. Auch in der Redaktion und Bekanntenkreis haben wir herumgefragt. Kopfschütteln. Selbst in der Bibliothek in der wir, also ich, verkehre, eigentlich ein gut sortiertes Haus, 3 Etagen, großer Lesesaal, Innenstadt, selbst dort, ist nur Teil 1 der Recherche zu finden, nicht sonderlich abgegriffen und eigentlich immer verfügbar, Teil 2- 7 des Buches, werden nicht mal zur Ausleihe angebotenobwohl, und das ist unbestritten, nahezu jeder mit ihrem Namen und Lebenswerk etwas anfangen kann. Ist der Romanzyklus möglicherweise zu sehr auf ihre Epoche zugeschnitten, zu sehr “Fin de Siècle”, statt allgemeingültige, verzeihen sie mir den Ausdruck in diesem Zusammenhang, zeitlose Weltliteratur und möglicherweise nicht die Reife und Bildung der Leser ausschlaggebend, sondern doch der historische Kontext, ist die Recherche daher ein historischer Roman, wohlmöglich sogar veraltet? 

Sie haben sich das Buch nur ausgeliehen und nicht gekauft. Oder? Das stimmt doch. Sie haben es nicht gekauft!  

Erwischt! 

Sie haben es sich dort, in der Bibliothek, ausgeliehen und mit nach Hause genommen und möglicherweise, und das traue ich ihnen jetzt zu, denn sie haben ja bereits einmal gelogen, das Buch, mein Buch, auch mit auf die Toilette genommen und es sogar dort gelesen und haben es danach, und dabei dreht sich mir der Magen um, wieder zurückgestellt, in das Regal, der Bibliothek, dem Haus mit den 3 Geschossen, in der Innenstadt. Solche Bücher, wenn man diese Begrifflichkeit in diesem Zusammenhang überhaupt noch verwenden kann, würde ich auch nicht mehr lesen oder mir daraus auch nur Vorlesen lassen, geschweige denn in einem Raum verweilen, in der ein derart besudeltes Exemplar pestiziertDeswegen werde ich nicht mehr gelesen, deswegen ist ein Marcel Proust verkannt, zu dessen Schaffen auch noch ein jeder Hans-Wurst seinen Senf geben will, eine Meinung hat, wie scheußlich sie auch sein mag und glaubt einen Beitrag zum Verständnis abgeben zu können, mit hohlen Phrasen und Halbwissen aus vulgärer Zweitliteratur, für die man dann auch bereit ist Geld auszugeben, für dünne Bahnhofskioskheftchen, mit lustigem Bildchen und Schnurrbart vorne drauf und in Denkerposse, aber da werden sie mir doch wohl recht geben, dass das nicht reicht, nur über ein Buch zu lesen, statt es zu lesen und die Idee, die dahintersteckt, die viele Zeit und Mühe, die Tränen, die Gesundheit, dem Verzicht, der Hartnäckigkeit, die erste Auflage habe ich ja noch selbst finanziert, wussten sie das, na, wussten sie das? 

Ja. Und ja. Aber die anderen Teile haben wir gekauft. Unser Ehrenwort darauf. Weil es so gut ist. Und ja, sie haben Recht, Sekundärliteratur ist …. 

...Parasitär, Fremde Federn, Leichenfledderei, und vor allem eins, gelebte Talentlosigkeit.  

Heute geht es ja um Teil 1 der Recherche, In Swanns Welt, ein schöner Titel übrigens, aber doch etwas irreführend, geht es doch um so viel mehr, nämlich auch ihre eigene Kindheit und vor allem die Liebe zu ihrer Mutter, oder irren wir uns da? 

"Du côté de chez Swann" im Original. Sprechen sie Französisch?  

Wenig. Aber interessant, dass sie es ansprechen. Irritierend ist in den deutschen Ausgaben nämlich, dass Luzius Keller den Titel mit "Unterwegs zu Swann", Bernd-Jürgen Fischer "Auf dem Weg zu Swann" und Rudolf Schottländer mit "Der Weg zu Swann" übersetzt haben. "In Swanns Welt" erscheint uns dennoch passender. Aber wo wir jetzt dabei sind, wie hätte den Marcel Proust den Titel ins Deutsche übersetzt? 

"Aus der Sicht von Swann". "In Swanns Welt" ist aber auch sehr gelungen. Die anderen Übersetzungen sind mir nicht geeignet. Das sind doch keine schönen Titel. Zu technisch. Zu steril. Blass. Würde ich auch nicht kaufen.  

In Swanns Welt ist unterteilt in 3 Teile. "Combray". "Eine Liebe von Swann". "Ortsnamen. Namen überhaupt". "Combray" beginnt mit dem legendären Satz: "Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen." Für mich persönlich der schönste erste Satz der Literaturgeschichte. Aber doch auch ein Satz im Kontrast zu den sonst verwendeten, sehr langen Konstellationen und der Fülle an Gedanken und Informationen, die bisweilen überborden mitgeteilt werden.  

Ich finde an dem ersten Satz überhaupt nichts Schönes.  

Das müssen sie mir erklären. 

Wissen sie, dann haben sie das Buch nicht verstanden. Garnichts.  

Bitte? 

Sie haben ja eingangs schon festgestellt, dass es, zumindest in Teil 1, neben Swann, auch um meine Jugend, Mama und den Erinnerungen daran geht, das ist ja auch kein Geheimnis, denn so steht es ja auch im Klappentext. Aber. Hätten sie sich etwas mehr Mühe gegeben, dann hätten sie erkennen können, dass es auch um Verlust geht. Mein Gott. Die liebe Mama ist tot. Combray ist tot. Alles ist tot. Verlorengegangen in der Zeit. Klingelt es? Wenn nun ein Autor, in Abkehr zu allen anderen Stilmitteln im Werk, einen Roman mit der Zeile "Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen" beginnt, dann will er keinen schönen ersten Satz formulieren, dann will er in aller Kürze und Radikalität abhandeln, welches Unglück ihm wiederfahren ist, welche tiefe Nacht ihn deshalb umhüllt hat, eine Finsternis, die Leben auslöschen kann, und beinahe hätte, dann will er in aller Schärfe das Hässliche benennen, aber nicht beschreiben, denn da ist ja noch Hoffnung, in der Erinnerung, an das Gute, subjektive Wahrheit, als Erlöser gegenüber dem Totengesang der objektiven Realität. 

Sie erwähnen ihre Mutter, oder eben die liebe Mama. Wir alle lieben unsere Mütter, das ist ein Naturgesetz, aber der Ich-Erzähler, also sie, ich denke das müssen wir nicht weiter diskutieren, hat da doch eine ganz besondere Beziehung zu der Mutter aufgebaut, die, und da will ich ihnen jetzt nicht zu nahetreten, sonderbar ist, möglicherweise, nun ja, deutlich zu stark ausgeprägt und durch die erwartungsgemäße Zurückweisung, eine Enttäuschung erzeugen muss, die dann, einen jungen Mann, spätestens in der einsetzenden Pubertät, und in Erinnerung an die, wenn sie mir die Formulierung gestatten, unerfüllten Liebe, im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, Skepsis auslöst, möglicherweise eine Distanz erzeugt, eine Befremdung, die dann, Begehrlichkeiten an Personen entstehen lässt, deren Geschlecht nicht dem klassischen Rollenbild entspricht? 

Soll das eine Frage sein? Ich verstehe es nicht 

Ist die Recherche ein schwules Buch?  

Hätten sie mich das auch gefragt, wenn nach meinem Tod nicht meine privaten Briefe veröffentlicht worden wären? Übrigens ohne mein Einverständnis oder sonstige Zustimmung.  

Gut. Dann lassen sie uns aber über Swann und seine Beziehung zu Odette sprechen. 

Mann und Frau. 

Mann und Frau. 

Klassisches Rollenbild. 

Klassisches Rollenbild. Aber... 

Jetzt bin ich gespannt! 

Swann wird als gebildeter, finanziell unabhängiger Lebemann und Emporkömmling eingeführt, mit einer Vielzahl an Affären, aber nicht makellosem Äußeren, Odette, ein wenig seicht, aber elegant, mit dezent zwielichtigem Ruf und Herkunft, klamm und als Nebenattraktion im gesellschaftlichen Salon um Madame Verdurin drapiert, wo sich die beiden auch kennen und später und im Verborgenen, lieben lernen.  

Verraten sie nicht so viel, es sollen andere ja auch noch das Buch kaufen. 

Das Ganze ist brillant geschrieben, episch in den Details, nie aufdringlich, sie lieben ihre verwendeten Figuren. 

Danke. 

Bis auf Odette.  

Na jetzt kommt es. 

Ich glaubebesser, ich halte ihnen vor, dass Odette, für Swann, für den Erzähler, für den Leser, mit der angedeuteten Untreue der Frau, die zwar nicht bewiesen ist, sich aber aufdrängt, dem fehlenden Vertrauen, dem Aushalten der Frau, der ungleichmäßigen wirtschaftlichen Situierung, den Zweifeln an der Echtheit der Gefühle, den Lügen, der divergierenden Bildungstiefe, dem Interesse des Mannes an Kunst, Kultur und zu erschaffendem Lebenswerk, der Abhängigkeit von körperlicher Zuneigung für Sympathiebekundungen, all das, wie die zurückgewiesene unversöhnliche Liebe des Autors zur eigenen Mutter, im Ergebnis das Sinnbild der Unversöhnlichkeit zwischen Mann und Frau ist, Mann und Frau von Natur aus disharmonieren und echte, gleichberechtigte, vorurteilsfreie Liebe, der Mann nur von seinesgleichen erfahren kann, was freilich nicht ausgesprochen wird, aber auf jeder Seite des Buches im Gehirn des Lesers als Samen gestreut und am Ende, als Frucht, von ihnen, Marcel Proust, geerntet werden wird. 

Ich weiß was sie vorhaben! 

Ja, was denn? 

Sie werden, nach all der Bauchpinselei und Vorschusslorbeeren und am Ende unserer Interviews, da werden sie versuchen mich aufzuknöpfen, mir das Messer in die Brust zu rammen und dann werden sie schreien und schreiben: "Genreliteratur! Regenbogenprosa! Sterbebettbeichte!" Aber das werde ich nicht zulassen. Ich habe einen Vertrag über 7 Gespräche, und die werde ich auch alle mit ihnen führen, da können sie sich sicher sein, noch haben wir ja nicht mal Teil 3 von Buch 1 besprochen und wenn sie alles gelesen haben sollten, wird ihnen nicht entgangen sein, wie fruchtbar die Beziehung zwischen Swann und Odette verläuft, Stichwort "Gilberte", auch der Erzähler schwärmt doch so sehr von ihr, überhaupt, heißt die Frau Odette de Crécy und nicht nur Odette, Kokotte, Kurtisane, und wie man sie alles schimpft, heutzutage wäre eine Odette de Crécy die Spielerfrau eines berühmten Fußballers, Präsidentengattin, zwar nicht seine erste Frau, eher die zweite oder dritte, und auch dieses Glück hat seine Berechtigung, vergessen sie das nie, bevor sie wie ein ungehobelter Klotz über die geschliffene Welt der gefeilten Worte spänen.   

Marcel... 

Für sie Herr Proust! 

Herr Proust, sie irren, wenn sie glauben, dass wir, ich, an ihrer Sprachgewalt, Talent, Genie, zweifele, nichts davon ist wahr, wenn sie behaupten hier gehe es darum jemanden vorzuführen, ganz das Gegenteil ist der Fall. Erlauben sie mir dennoch, und damit ich den eben erwähnten Gedanken nochmal aufgreifen kann, aus dem Schluss des 2. Teil “Eine Liebe von Swann” wie folgt zu zitieren: 

“Wenn ich denke, daß ich mir Jahre meines Lebens verdorben habe, daß ich sterben wollte, daß ich meine größte Leidenschaft erlebt habe, alles wegen einer Frau, die mir nicht gefiel, die nicht mein Genre war!” 

Schön, oder? 

Sehr schön, Herr Proust. 

Sagen sie doch Marcel.  

Dieser Abschluss des 2. Teils ist interpretationswürdig. Insbesondere fällt uns die spezielle Übersetzung auf. “Genre”. Das ist wohl so aus dem Original übernommen? 

Das ist korrekt. 

Ich habe mich gefragt, warum Frau Rechel-Mertens “Genre” nicht mit “Art” oder “Stand” übersetzt hat. Ist das vielleicht bewusst offengelassen worden, um mehr Interpretationsspielraum zu lassen? Kann man nicht “Genre” gedanklich auch durch “Geschlecht” ersetzen? Und würde das im Französischen nicht auch funktionieren? 

Es würde funktionieren, aber es wäre zu plump.  

In Teil 3 “Ortsnamen - Namen überhaupt” warten sie mit einer kleinen Überraschung auf. Und zwar … 

 Na sie werden es jetzt wohl hoffentlich nicht verraten!  

Entschuldigen sie. Zum Ende des ersten Interviews, den die vereinbarte Zeit ist abgelaufen, erlauben wir uns ein kurzes Zwischenfazit zu ziehen. Was das Buch bislang ausmacht, ist die Tiefe der Sprache und die Dichtigkeit der ausgedrückten Gefühle. Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man feststellt, dass bislang kein schöneres Buch geschrieben wurde und nicht ein Satz, nicht eine Silbe, mit irgendeinem Makel behaftet ist. Das macht dann allerdings auch die Schwäche aus. Eindeutig wird dem Stil mehr Gewichtung zugeteilt, als dem Inhalt. Für die weiteren Teile wünschen wir uns daher etwas mehr Handlung, mehr Entwicklung, mehr Spielräume. Wir dürfen abschließend feststellen, dass wir “In Swanns Welt” genossen haben und wir uns mit großer Vorfreude auf die weiteren Teile stürzen werden. 

Marcel, sie haben das letzte Wort. 

Lassen sie mich mit einem eigenen Zitat aus dem ersten Band abschließen und ihnen versöhnlich die Hände reichen.  








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