Kündigungen, Depressionen, Perspektivlosigkeit – So geht es den Mitarbeitern der Abgasuntersuchung nach dem VW-Skandal

Donnerstag, 24. September 2015


Braunschweig, 8:30 Uhr,  Industriepark-Nord.

Wir stehen vor dem schmucklosen Dekra-Gebäude, in dem seit 1972, neben der Hauptuntersuchung, auch die Abgasuntersuchung (AU) nach § 29 StVZO durchgeführt wird. Wir wollen hören, wie es den Menschen geht, die vom VW-Abgasskandal unmittelbar betroffen sind. Wir wollen wissen, wie es den Mitarbeitern geht, die jahrelang der Spielball eines Weltkonzerns waren, den Angestellten der vielen Prüfstellen im Land, die nichtsahnend die Erfüllungsgehilfen eines epochalen Betrugssystems wurden, getäuscht und ausgenutzt von der Gier und dem Größenwahn skrupelloser Manager.
                                
Wir treffen Erwin H.* (Name von der Redaktion geändert), 58 Jahre, seit 15 Jahren Betriebsleiter, in seinem grauen fensterlosen Büro. Es riecht nach frisch gebrühtem Bohnenkaffee und Cognac. Auf dem Schreibtisch stehen penibel aufgestellte Bilder der Enkelkinder, die Kfz-Meister Urkunde hängt neben dem schlüpfrigen Kalender, mit einer, sich auf einer bunten Motorhaube rekelnden, barbusigen Frau.

Herr H., vielen Dank für das Interview, das sie uns gewähren. Wie hat ihre Untersuchungsstelle von dem Abgasskandal erfahren und wie haben ihre Mitarbeiter die Enthüllungen aufgenommen?

Mit Fassungslosigkeit, das kann ich ihnen schon vorweg sagen. Von der Sache habe ich Sonntagabend von einem langjährigen Kollegen erfahren. Ich bekam einen Anruf, der Klaus * (Name von der Redaktion geändert) war total aufgeregt und stammelte zunächst nur wirres Zeug, „Lügner, Schweinehunde, alles gelogen, alles umsonst, all die Jahre, ein verschwendetes Leben“ usw. Erst als ich ihn ein wenig beruhigen konnte und er mir ungefähr erklären konnte, worum es eigentlich ging, schaltete ich den Teletext am Fernsehgerät ein. Mir zog es beim Lesen der Schlagzeilen regelrecht die Füße unter dem Boden weg, meine Frau brachte mir erstmal einen Weinbrand, obwohl ich seit 20 Jahren nicht mehr trinke. Den hatte ich aber nötig. „Erwin“, sagte sie, „das ist doch nur Amerika, hier wird schon alles gut sein.“ Nein. Nichts war gut. Das begriff ich sofort. Wissen sie, die Abgasuntersuchungen unterscheiden sich in den einzelnen Ländern kaum voneinander, auch die international verbaute Technik und eingesetzte Elektronik ist im Wesentlichen gleich. Da ahnte ich schon was in den nächsten Tagen auf uns zukommen wird.

Beschreiben sie uns doch mal den nächsten Morgen in der Prüfstelle. Wie war die Stimmung bei den Mitarbeitern?

Die meisten Mitarbeiter sind gar nicht erschienen, darunter auch Klaus. Seine Frau kam gestern vorbei und hat mir seine Krankschreibung gebracht. Nach dem Telefonat ist er wohl durchgedreht und hat sich in seinem Bastelschuppen eingeschlossen, was er normalerweise nur macht, wenn er alleine sein will, nachdenken muss oder Fußball schauen will. Doch diesmal war es anders, er hat aufgehört zu essen und zu trinken und hat seit Dienstag auch nicht mehr auf Fragen geantwortet. Seine Frau hat dann einen Arzt und die Feuerwehr gerufen, die den völlig verwahrlosten und verwirrten Kerl von seinem Werkzeugschrank geholt haben. Er soll da nackt drauf gekauert haben, umgeben von zahllosen Luftballons, die er immer wieder apathisch aufblies und dann durch den Raum zischen ließ. Es muss schrecklich gewesen sein.

Von den anderen Kollegen erschien nur der Lehrling, aber auch nur noch bis gestern. Seine Kündigung kam heute früh mit dem Fax. Von ursprünglich 6 Mitarbeitern, haben jetzt schon 3 gekündigt, der Rest ist krankgeschrieben. Ein Mitarbeiter hat sich überhaupt noch nicht gemeldet. Den hat die Sache aber auch besonders hart getroffen, sodass wir uns große Sorgen um ihn machen. Der Udo* (Name von der Redaktion geändert) war früher nämlich bei Greenpeace und noch früher in der kommunistischen Partei, der war so ein richtiger Aktivist, Umweltschützer, total couragiert und hat immer alle damit genervt, endlich auf vegane Ernährung umzustellen. Der wollte die Welt besser machen, grüner und war immer knallhart zu den Kunden, bei denen die Abgaswerte nicht gestimmt haben, meist bei den alten Karren. Und das jetzt Autos, durch ihn auf die Straße geschickt wurden, die dort überhaupt nicht hingehört hätten... Ich hoffe er meldet sich bald.

Was glauben sie, ist der Skandal um manipulierte Abgaswerte nur auf Fahrzeuge von VW beschränkt oder gibt es noch weitere schwarze Schafe?


Alle, alle haben da mitgemacht. Ich bin gestern extra nochmal hunderte Messprotokolle aus verschiedenen Jahren durchgegangen. Alle Protokolle weisen Auffälligkeiten auf, aber wer hätte das denn vorher erkennen können? Die unterschiedlichen Autobauer haben größtenteils Messarmaturen verbaut, die von ein und demselben Hersteller stammen. Ich bereue aber zutiefst, das will ich an dieser Stelle klar und deutlich sagen, das ich nicht schon vorher genauer hingeschaut habe. Und ja, vielleicht gab es auch Hinweise. Einmal, das ist jetzt knapp 4 Jahre her, hat ein ehemaliger Mitarbeiter versucht, den Namen will ich nicht nennen, nach der Trennung von seiner Frau und wegen hoher Spielschulden, sich auf der Arbeit, während einer Abgasuntersuchung, das Leben zu nehmen. Dazu hat er sich mit geschlossenen Fenstern in den Passat eines Kunden gesetzt und die Abgase in das Wageninnere geleitet. Wie durch ein Wunder hat er damals überlebt. Heute wissen wir, dass ihn nur der Umstand gerettet hat, dass er den Dienstlabtop zum Auslesen der Daten an der Elektronik des Fahrzeuges angeschlossen hatte. So hat der manipulierte Chip erkannt, dass gerade eine Abgasuntersuchung stattfindet und den Schadstoffausstoß drastisch reduziert. Der Mitarbeiter wäre heute sonst tot.


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